Cover
Titel
Fußball und Feminismus. Eine Ethnografie geschlechterpolitischer Interventionen


Autor(en)
Faust, Friederike
Erschienen
Opladen 2019: Budrich UniPress
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Miriam Gutekunst, Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Zur Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2019 erregten die deutschen Nationalspielerinnen mit einem Werbespot der Commerzbank Aufmerksamkeit, in dem sie den provokanten Slogan „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze“ formulierten und den tagtäglichen Kampf mit Vorurteilen und Stereotypen thematisierten. Wie eine solche öffentliche Problematisierung fußballerischer Geschlechterverhältnisse gesellschaftlich überhaupt möglich wurde, schildert Friederike Faust überzeugend in ihrer kürzlich erschienenen Ethnografie geschlechterpolitischer Interventionen. Darin analysiert sie ausgehend von der Entstehung und Etablierung der zivilgesellschaftlichen Frauenfußballorganisation Discover Football, die sie über drei Jahre teilnehmend begleitet hat, wie die historisch gewachsenen und über Jahrzehnte als selbstverständlich geltenden Geschlechterverhältnisse im Fußball nach und nach von unterschiedlichen Akteur/innen hinterfragt und als Problem adressiert wurden. Um diesen gesellschaftlichen Wandel im Feld Feminismus und Fußball theoretisch zu fassen, greift sie auf Foucaults Konzept der „Problematisierung“ zurück. Dieser Ansatz ermöglicht ihr, Problematisierungen als „Produkte konkreter Situationen und historischer Entwicklungen“, als „verkörpert und an Akteur/innen gebunden“ zu verstehen und damit auch über den „ethnografischen Blick auf Alltagspraktiken“ erschließbar zu machen (S. 14).

Zunächst zeichnet Faust nach, wie es zu dem „günstigen Moment“ (S. 49) kam, sich überhaupt als feministische Fußballorganisation zu formieren und geschlechterpolitisch zu intervenieren. Problematisierungen der Geschlechterverhältnisse im Sport allgemein und besonders im als Männersport etablierten Fußball reichen zwar zurück bis ins 19. Jahrhundert, waren jedoch immer umkämpft. Einen Frauenfußball-Boom verortet Faust um die Jahrtausendwende, der in Deutschland seinen Höhepunkt mit der FIFA-Weltmeisterschaft 2011 fand. Dieser Aufschwung sei zeitgleich mit einer konjunkturellen Destabilisierung männlicher Herrschaft im Fußball einhergegangen sowie in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen eingebettet gewesen, wie die Etablierung feministischer Forderungen nach Gleichberechtigung und sportfördernder Verwaltungsstrukturen sowie die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Interessen am Sport. Mit dem Wandel dieser Umstände des Frauenfußballs veränderten sich auch die diskursiven Formationen. Faust arbeitet diskursanalytisch heraus, wie der Fußball zunehmend als eine verbindende, integrative und charakterbildende, empowernde Tätigkeit imaginiert und auch die lange Zeit behauptete politische Neutralität in Frage gestellt wird. Dieses Moment kann laut Faust in Anlehnung an Anna Tsing auch als eine „Friction“1 bezeichnet werden und bildet den Rahmen, in dem sich Discover Football konstituiert hat und den die Gruppe zugleich mitbearbeitet.

Im zweiten Teil gibt Faust einen vertieften Einblick in die 2009 gegründete Organisation Discover Football und untersucht praxeologisch, wie sich diese formierte und zu einer „Bearbeiterin der Geschlechterverhältnisse“ (S. 17) im Fußball wurde. Dabei arbeitet sie differenziert und eindrücklich den modernisiert-bürgerlichen sowie weißen Habitus der Mitglieder heraus, den sie sowohl im Kontext einer transnationalen Zivilgesellschaft als auch einer urbanen Umwelt verortet. Daraus ergeben sich bestimmte – zum Teil sehr akademisierte – Arbeits- und Kommunikationsweisen sowie eine moralische Haltung, gesellschaftlichen Ungleichheiten und Ausschlüssen zum Beispiel aufgrund von heteronormativen oder rassistischen Strukturen entgegenzuwirken. Diese Positionierungen bringen ein ambivalentes Spannungsverhältnis zum Verbandsfußball hervor, in den sich Discover Football durch die Formierung als Fußballverein sowie die Anerkennung des Leistungsprimats und des Wettkampfs in ihrer Fußballpraxis eingliedert, auch um Geschlechterverhältnisse innerhalb des Verbandfußballs herauszufordern, wie Faust zeigt. Hier wird auch deutlich, wie sich fußballspezifisches Wissen in Körper- und Emotionspraktiken einschreibt. Discover Football konstituierte sich in Abgrenzung zu professionalisierten NGOs als aktivistische Graswurzelinitiative und erschuf die Subjektposition als female football activist für sich, was immer wieder zu Reibungen mit Förderrichtlinien sowie Anforderungen staatlicher und verbandsfußballerischer Verwaltung führt. Weitere Ambivalenzen entstehen für Discover Football durch die Projekte mit Fußballspielerinnen aus Ländern des Globalen Südens. Diese Teilnehmerinnen sehen sich – trotz des Anspruchs von Discover Football, sich „auf Augenhöhe“ zu begegnen – immer wieder mit einer entwicklungspolitischen Subjektivierung als bedürftig konfrontiert. Auch der Umgang mit Geschlecht und Sexualität führt zu Konflikten, die sich zwischen strategischem Essentialisieren und dem spielerischen Aufbrechen von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität bewegen. Faust kommt zu dem Fazit, dass Sich-Organisieren „also nicht das Auflösen von Widersprüchen und Dilemmata“ meint, „sondern das geschickte Navigieren zwischen den verschiedenen Regimen“ und multiplen Anforderungen (S. 202).

Der dritte Teil führt die Leser/innen dieser Studie schließlich zu den konkreten geschlechterpolitischen Interventionen – den Praktiken der Problematisierung von Discover Football – und fragt danach, wie sich politisches Handeln innerhalb dieses netzförmigen Machtgefüges konkret gestaltet (S. 209). Darunter fallen Strategien wie emotional Stellung zu beziehen, die eigenen Erfahrungen zu mobilisieren oder Privates zu politisieren. Im Kapitel „Alternativen präfigurieren“ (S. 251) geht es um das Herzstück der Arbeit von Discover Football, dem seit ihrer Gründung jährlich stattfindenden Frauen-Fußball-Kulturfestival. Dieser Teil zählt sicher zu einem der ethnografischen Höhepunkte der Studie. Faust gelingt es sprachlich sowie dramaturgisch, den/die Leser/in mit ins Stadion zu nehmen und so in gewisser Weise an einem Raum teilhaben zu lassen, den sie als heterotopisch, als eine „raumzeitliche Gegenwelt“ (S. 254) beschreibt und der eine präfigurative Funktion innehat. Hier werden Prämissen des Fußballs wie Leistungsprimat, Konkurrenzprinzip und Wettkampfgedanke feministische Ideale wie Solidarität, Begegnung und gegenseitige Bestärkung entgegengesetzt und zum Beispiel durch die Umgestaltung des Raums, der Aufgabenverteilung oder der sportlichen Rituale zu praktizieren versucht. Dadurch werden gleichzeitig Geschlechterverhältnisse herausgefordert oder sogar umgekehrt. Faust schreibt in diesem Zusammenhang auch über ihre eigene Involviertheit, als sie das Stadion am Tag des Festivals betrat: „Nicht nur fürchtete ich, durch die eigene Ergriffenheit auf meinem ethnografischen Auge zu erblinden, ich wurde auch ständig an die Ausschnitthaftigkeit meiner Perspektive erinnert.“ (S. 255) Als Konsequenz nahm sie zur Verstärkung zwei weitere Forscherinnen mit, um den verdichteten Moment ethnografisch besser greifen zu können.

Dieser letzte Ausschnitt deutet bereits auf die methodologische Komplexität und Tiefe der Studie hin. Faust gelingt es, nicht nur ihre eigene Immersion im Feld und Herausforderungen ethnografischer Forschung produktiv und erkenntnisbringend zu reflektieren, sondern sie entwickelt auch Ansätze ko-laborativer Forschung kritisch weiter und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu der Debatte um engagierte und positionierte Wissenschaft. Sie nimmt sowohl die Zusammenarbeit in ihrem Feld als auch die eigene Betroffenheit und Positionierung ernst und setzt diesen Anspruch konsequent in ihrer Studie um, indem sie zum Beispiel Texte gemeinsam mit Aktivistinnen aus dem Feld produziert. An diese methodologischen Überlegungen können zukünftige ethnografische Forschungsprojekte in politisierten Feldern sehr gut anschließen.

Insgesamt ist die Studie als Ganzes, aber auch jedes einzelne Kapitel theoretisch sehr fundiert und es werden ganz unterschiedliche Konzepte von Praxis- über Raum- bis hin zu Machttheorien genutzt und immer im Dialog mit der Empirie weitergedacht. Die Studie zeigt exemplarisch, wie ethnografisches Forschen im Kleinen Aufschluss über große gesellschaftliche Fragen geben kann. In der Textualisierung schafft es Faust, trotz Stringenz und Klarheit im Aufbau und der Argumentation auch Brüche, Ambivalenzen und Aushandlungen textuell sichtbar zu machen. Kritisch anzumerken ist die Tatsache, dass sich in dem Buch leider eklatant viele Rechtschreibfehler finden lassen, was in einem derart renommierten Verlag doch verwundert. Mit ihrer Ethnografie trägt Faust zu kulturanthropologischer Sport-, Politik- sowie Geschlechterforschung bei und streift ebenso wichtige Felder wie Körper, Emotionen, Vereinswesen oder Nord-Süd-Beziehungen. Auch für die Praxis ist diese Analyse sicher interessant – sei es für Discover Football selbst sowie andere aktivistische Projekte im Feld der Anti-Diskriminierung und Gleichberechtigung, aber auch für den Verbandsfußball und gleichstellungsfördernde Initiativen und Programme im Sport. Die untersuchten ambivalenten Verflechtungen von Feminismus und Fußball – die sich auch in dem eingangs erwähnten Werbespot der Commerzbank materialisieren – werfen weitere interessante Fragen auf und stellen ein Forschungsfeld dar, in dem Faust mit ihrer Studie eine wichtige Basis geschaffen hat.

Anmerkung:
1 Anna Tsing, Friction. An Ethnography of Global Connection, Princeton 2004.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch